hubert blanz

Level Five
Audio-/Videoinstallation, 4:3 Format, 12:05 min, 7-teilig, Hubert Blanz, 2005


Am Pulsschlag der Anonymität

Roland Schöny

In urbane Zwischenwelten ohne jegliche Spur von Individualität, an irreal anmutende Orte fernab konkreter menschlicher Kommunikation führt die künstlerische Arbeit von Hubert Blanz immer wieder. So auch die mehrteilige und begehbare Audio-/Videoinstallation Level Five. Sie leitet den Blick durch die vereinsamt wirkenden Korridore und Verbindungszonen in einem offenbar monumentalen Krankenhauskomplex, dessen inneres Wegenetz nirgendwo auf ein Ende hindeutet. Im Zuge der Recherchen für die 2005 im Rahmen der Reihe O.K spektral in Linz realisierte Installation suchte Blanz nach Raumsituationen, deren architektonisches Framing Parameter des Zwischenaufenthalts, der Übergangszone und des Transfers repräsentieren. Dabei stieß er auf die Innenwelt des Allgemeinen Krankenhauses (AKH) in Wien. Mit einer Nutzfläche von 345.000 Quadratmeter, insgesamt 45 Kliniken und Instituten der Universität Wien sowie mehr als 2180 Betten zählt es zu den größten Versorgungseinrichtungen dieser Art in Europa.

Allerdings enthalten die parallel ablaufenden Videos und Bildsequenzen der Installation keinen einzigen Hinweis auf dieses konkrete geografische Umfeld. Die nur spärlich vorhandenen lokalen Referenzen bleiben ausgeblendet. Das sterile Szenario von per Lift miteinander verbundenen, übereinanderliegenden Gängen, welche von Station zu Station führen, hat längst einen prototypischen Charakter mit überregionaler Gültigkeit angenommen. Im Makrobereich möglicherweise vorhandene individuelle Bezüge wie Aufschriften und Hinweisschilder oder auch Spuren der Abnutzung werden überformt von einem durch bloße Funktionalität bestimmten nüchternen Zeichensystem.

Trotz der durchgehend farbig gestalteten Raumsequenzen mit ihren wechselnden Lichtsituationen, wie sie gewöhnlich als Konzept der Abstufung und visuellen Trennung einzelner Stationsbereiche und Gebäudesegmente gedacht sind, erinnern die Kamerafahrten durch die nicht enden wollenden Spitalsgänge an eine hermetische, durch Isolation geprägte Welt, in welcher Orientierungen nach draußen paralysiert werden. Während in der Konfrontation mit den seriell projizierten Bildern zunächst Assoziationen mit ausweglosen Traumsequenzen aufkommen mögen, legt erst die gespenstische Menschenleere den Charakter einer Architektur offen, die in ein ortloses Einerlei führt und von gewachsenen urbanen Traditionen abdriftet.

Der französische Anthropologe Marc Augé umschreibt solche global austauschbaren räumlichen Dispositive als Nicht-Orte. Im Schatten ökonomischer und kommunikativer Ballungszentren dienen sie der Erbringung effizienter Infrastrukturleistungen. Dementsprechend lassen sich Bahnhöfe, Flughäfen, Krankenhäuser und Hotelhallen oder andere funktional bestimmte Durchgangszonen wie etwa Wartehallen, die in steter Monotonie wiederkehrende Logistik von Supermärkten oder stereotyp aussehende Feriendörfer vom Fließband mit dem Attribut des Nicht-Ortes markieren.

Als Phänomen der späten Moderne entstehen Nicht-Orte als Prinzip, das die klassische Situierung von Orten innerhalb gewachsener und miteinander vergleichbarer Rasterungen, wie sie etwa aus der Struktur der europäischen Stadt mit ihren Zentren bildenden Plätzen und den darum herum angeordneten Straßen und Häuserformationen heraus generiert wurde, ablöst oder ergänzt. Durch die produktionsimmanente Logik in der durchindustrialisierten Gesellschaft des Spätkapitalismus kommt jeweils eine ähnliche, austauschbare, serielle Gestaltungslogik zum Tragen. Bezeichnet werden mit dem Ausdruck „Nicht-Ort“ jedoch zwei verschiedene, einander ergänzende Realitäten: zum einen die Räume selbst, die für bestimmte Zwecke (Verkehr, Transit, Handel, Freizeit) konstituiert sind, und zum anderen die Beziehung, die das Individuum zu diesen Räumen unterhält.

Wie flüchtig und unpersönlich diese Beziehung bleiben kann, reflektiert Hubert Blanz in seiner Medieninstallation Level Five für das O.K Centrum in Linz mit der Bewegung der Kamera, die sich in den Spitalskorridoren unablässig vorantastet, aber nirgendwo anhält. Imaginiert wird eine aseptische, durch und durch aus Oberfläche bestehende Umgebung, die alles andere als zum Verweilen einlädt, was sich durch die Rastlosigkeit von nicht enden wollenden Kamerafahrten auf insgesamt vier miteinander synchronisierten und im Wechsel des jeweiligen Farbtons aufeinander abgestimmten Videoprojektionen steigert. Währenddessen verweisen drei auf Animationen basierende Videos in entgegengesetzter Weise auf ein stetig sich näherndes Raumende. Ausgangsmaterial für die visuelle Konstruktion dieser dem Blick geradezu bedrohlich gegenübertretenden Raumkonstellation sind digitale Fotografien, die oft Momente des direkten Anstoßens an Wände oder verschlossene Türen dokumentieren, aber auch die für Fahrten in solchen Korridoren typische abrupte Bremsbewegungen vermitteln. Durch diese im Werk von Hubert Blanz oftmals in leitmotivischer Form wiederkehrende serielle Aneinanderreihung unterschiedlicher Perspektiven konstituiert sich innerhalb der siebenteiligen Projektion eine räumliche Gesamtsituation, welche in einem real existierenden Raumgefüge bautechnisch und logistisch unmöglich wäre. In der bis ins Äußerste vorangetriebenen visuellen Verdichtung durch Übersteigerung jedoch gelingt Blanz die Zuspitzung einer in traumatische Abgründe kippenden unendlich klaustrophobischen Raumgeografie.

Während die von Hubert Blanz in Bild übersetzten Welten gewöhnlich menschenleer bleiben, erinnert die über mehrere Kanäle laufende rhythmisierte Soundspur der Installation Level Five an die omnipräsente und zugleich beängstigend fern wirkende Existenz von Menschen in einer durch Ungewissheit, Fremdheit und Einsamkeit gekennzeichneten Wartesituation.
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