hubert blanz
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Geospaces
C-Print auf Aluminium, Hubert Blanz, 2002
Die Ansicht der Wirklichkeit
Margit Zuckriegl
Ob von Wettersatelliten oder Erkundungssonden: wir Bilderkonsumenten sind an den
Blick von „außen“ auf unsere Erde, auf ihre Oberfläche gewohnt. Wir vermeinen, genau zu erkennen, welche geografische Situation
wiedergegeben ist, eine Küstenlinie, eine Stadtagglomeration, ein Ozean, ein Bergmassiv. Wir bringen
Bilder aus ungewohnten Perspektiven mit etwas in Deckung, das wir zu kennen
meinen: Bilder, die wir gespeichert haben, wenn wir einen Blick aus dem
Flugzeug werfen, Ansichten von Tallandschaften, wenn man von der Höhe eines Berggipfels hinabschaut – und deshalb trauen wir globalen Bildern von der Erdoberfläche aus dem Internet, von Kriegsschauplätzen in den Medien, von Katastrophenszenarios nach Überschwemmungen oder Hurricanes. Obwohl der Betrachter selbst diese Position nie
eingenommen haben kann, verlässt er sich darauf, dass Wirklichkeit abgebildet wird, wenn Bilder sich
bekannten Sehmustern annähern. Diese Strategie, die zwischen Kognition und Sensation angesiedelt ist,
macht sich der Foto- und Medienkünstler Hubert Blanz zunutze: er thematisiert einerseits die Konnotation von
Wissen und Sehen, andererseits führt er die Grundbausteine moderner Wissensspeicher und Bildgenerierung vor. In
den
Geospaces imitiert der Künstler Bilder, wie sie von Satelliten aus von der Erdoberfläche gemacht werden könnten. Zur Herstellung dieser virtuellen Landkartenvisualisierungen bedient er
sich der kleinsten Teile, die sich in Computerhardware befinden:
Halbleiterplatten, Schaltungen, Chips – daraus werden in tatsächlich aufgelegten Arrangements Stadt- und Küstensituation konstruiert, die ein vorgeblich bekanntes, aber in Wirklichkeit
bloß virtuelles Bild einer inszenierten Kartografie geben. Blanz konstruiert ein
Bild von Welt, das im Interferenzbereich von Erkennen und Assoziieren
angesiedelt ist; beim Blick auf die Blanz’schen Veduten sucht der Betrachter sofort in seinem Bildervorrat nach ähnlichen, bekannten, benennbaren geopolitischen Situationen, in denen er sein
Bildwissen wiederfinden kann. Und doch sind seine „spaces“ keine Ansichten von Wirklichkeit, sondern irritierende Kommentare zu den
Sehgewohnheiten und zu avancierten Bildlesestrategien im digitalen Zeitalter.
Geografische Raumfiguren
Wolfgang Fiel
Wie schon in der vorangegangenen Arbeit mit dem Titel Digital Surroundings und der Serie Digital City beginnt Blanz die Untersuchung und Annäherung an geografische Raumfiguren mit der Wahl des Arbeitsmaterials. Im
gegebenen Fall handelt es sich dabei um eine Bandbreite von Leiterplatten, d.h.
mit Schaltkreisen ausgestattete Trägerelemente für die Bestückung mit elektronischen Bauteilen.
Blanz verfolgt dabei eine doppelbödige Strategie. Er arbeitet nicht, wie vielleicht angenommen werden könnte, auf einer rein kompositorischen oder metaphorischen Ebene eines
angestrebten Gesamteindrucks, sondern nach dem Prinzip der Singularität, d.h. der Einzigartigkeit vorhandener Merkmale des Rohmaterials. Im Verzicht
auf die der Sprache zugrunde liegende Dualität von Bezeichnendem und Bezeichnetem, d.h. der Bedeutung, die sich hinter der
objektiv sichtbaren Erscheinung des Betrachtungsgegenstands verbirgt und damit
von dieser zu unterscheiden ist, orientiert sich Blanz vorerst ausschließlich an jenen Qualitäten, die sich der unmittelbaren und ‘reinen’ Wahrnehmung erschließen. Charakteristische Eigenschaften der Leiterplatten wie Materialität, spezifische Farbigkeit, Schichtaufbau, Lochungsbild, Elementdicke und die
damit verbundene Schattenbildung bei kontrollierten Lichtverhältnissen, Haptik und Gesamtplastizität sowie die Textur des Leiterbahnengewebes verdichten sich beim additiven
Vorgang des Zueinanderfügens der Einzelelemente zum Eindruck gewachsener räumlicher Struktur.
Auf einer zweiten Ebene dient Blanz das Rohmaterial zur bewussten Steuerung
assoziativer Zusammenhänge zwischen der diesem Gefüge inhärent strukturell-räumlichen Qualität und den dem Blick von oben eigenen und allgemein bekannten Repräsentationsformen, die etwa bei der fotografischen Dokumentation von Stadt- und
Landschaftsräumen aus großer Distanz mittels spezieller, in Erdumlaufbahn befindlicher Satelliten
entstehen. Dieser Eindruck wird mit der Angabe des Darstellungsmaßstabs untermauert, der gemeinsam mit dem Titel der Serie das jeweilige
Einzelbild bezeichnet. Dass sich, wie Blanz angibt, bei ihm mit Fortdauer des Fügevorgangs durch die angestrebte Kontinuität von Textur und Figur in Fläche und Raum ein Gefühl physischen und psychischen Involviertseins einstellt, hängt nicht zuletzt mit einer gewissen Ähnlichkeit seiner Vorgangsweise und der des Städteplaners zusammen. Stadtplanung erfolgt nicht nur nach ‘formalen’ Überlegungen, wie beispielsweise der Wahl von Bebauungsformen, Verkehrs- und
Erschließungssystemen, etc., sondern ist (oder sollte) darüber hinaus danach bestrebt (sein), funktionale und wahrnehmungsmäßige Kriterien individueller und kollektiver Stadtaneignung in ein ausgewogenes
qualitatives Verhältnis zu setzen, wodurch – bewusst oder unbewusst – Aspekte subjektiver ‘Weltanschauung’ in die Planung mit einfließen. Die Geospaces strahlen eine angenehme Ausgewogenheit dieser
Planungsparameter aus, womit die Arbeit weder zu nahe an reale Gegebenheiten
und deren abbildhafte Repräsentation rückt, noch die rohen und unmittelbaren Qualitäten des Ausgangsmaterials allzu offensichtlich zur Schau gestellt werden. Es
handelt sich um eine Art Schwebezustand, dessen Indifferenz durch den Umstand
untermauert wird, dass das mit den Darstellungsausschnitten korrelierende
Bildformat die Bildinhalte weder begrenzt noch ein vollständiges Erfassen im Sinne kohärenter Selbstreferentialität möglich macht. Die BetrachterIn macht also dort weiter, wo Blanz angefangen hat:
Die Fäden des strukturbildenden Gewebes werden aufgenommen und weitergeknüpft.
Das Sichtbare im Unsichtbaren
Margit Zuckriegl
Globale Kommunikation und vernetzte Bildsysteme sind die Themen des Medienkünstlers Hubert Blanz. Dabei richtet sich sein Fokus auf spezifische Einzelphänomene, die er aus dem ubiquitären digitalen Kosmos extrahiert.
Mit dem fingierten Satellitenbild von Istanbul aus der Serie der Geospaces bewegt sich der Künstler im Referenzbereich von Bildkonstrukt und visueller Erinnerung: die Stadt
am Bosporus steht für eine symbolhafte Verbindung von Ost und West, Morgenland und Abendland,
Vergangenheit und Zukunft – die Konfiguration des urbanen Gefüges mittels aufgelegten Computerbestandteilen und Leiterplatten lässt einerseits das Spezifische des Stadtbildes erkennen, stößt andererseits den Kommentar zu einer immateriellen Innovations- und
Kommunikationskultur an.
Dies führt der Künstler in den Public Tracks – Arbeiten weiter: die Intensität des Nachrichtenaustauschs in einem beliebig herausgegriffenen Facebook-Profil
wird als lineares Netzdiagramm dargestellt: unsichtbar hinter den Textoberflächen laufen Bild- und Informationsstränge und -ströme, die vor der Unendlichkeit eines unauslotbaren Bildraums in Form von
lettristischen Bändern sichtbar gemacht werden.
Dieser Strategie bediente sich Hubert Blanz auch bei der Visualisierung des
Stadtplanes der mazedonischen Hauptstadt Skopje. Nicht nur die Ansichtigkeit
aller Straßennamen der Kommune ergibt das strahlende Sternenmuster, sondern auch die darin
aufbewahrte Kumulation von Geschichte: politische Systeme und ihrer Vergänglichkeit lassen sich in der Benennung von Plätzen und Straßen nachverfolgen, urbane Gegebenheiten werden der Repräsentation von jeweils wechselnden Machthabern unterworfen.
Blanz konstruiert ein Bild von Welt, das im Interferenzbereich von Erkennen und
Assoziieren angesiedelt ist; er macht das Unsichtbare in sichtbaren
Bildformaten anschaulich: Betrachten bedeutet Teilhaben, Rezipieren meint hier
auch, sich auf die ausgelegten Spuren zu setzen und die Relevanz für die eigene Bestimmung zu überprüfen.
Margit Zuckriegl zur Ausstellung WHERE ARE WE NOW?, kuratiert von Roland Schöny, Ausstellungsraum Franz Josefs Kai 3, Wien, 2016
Die Exploration des kommunikativen Raums
Margit Zuckriegl
Globale Kommunikation und vernetzte Bildsysteme sind die Themen des Medienkünstlers Hubert Blanz. Dabei richtet sich sein Fokus auf spezifische Einzelphänomene, die er aus dem digitalen Kosmos extrahiert.
Mit dem fingierten Satellitenbild von Istanbul aus der Serie der Geospaces bewegt sich der Künstler im Referenzbereich von Bildkonstrukt und visueller Erinnerung: die Stadt
am Bosporus steht für eine symbolhafte Verbindung von Ost und West, Morgenland und Abendland,
Vergangenheit und Zukunft – die Konfiguration des urbanen Gefüges, das mittels aufgelegter Computerbestandteile und Leiterplatten zustande
kommt, lässt einerseits das Spezifische des Stadtbildes erkennen, stößt andererseits den Kommentar zu einer immateriellen Innovations- und
Kommunikationskultur an. Das Gefüge der Stadt weist zwar im Kontur einige erkennbare Merkmale der urbanen „Physiognomie“ auf, wie die Trennlinie des Bosporus, die Küstenlinie des asiatischen Festlandes oder den Verlauf des Goldenen Horns, die
Binnenstruktur des Stadtplans verweist jedoch auf die unsichtbaren Mechanismen
von Kommunikationsmedien und globaler Vernetzung. Der Ort des
Informationsaustausches hat sich in den Äther und ins Kabelsystem verlagert: was früher die Begegnung im Bazar war, an Straßenkreuzungen, auf Plätzen und in Passagen (eine Vielzahl davon existiert in Istanbul und belegt die
gebaute Verzahnung von Kommunikation und Wirtschaft früherer Epochen), wird nun von Kommunikationssurrogaten im Internet erledigt.
Istanbul war immer ein Platz des „molekularen Kapitalismus und ein Netzwerk der Völkerschaften“ 1), eine Stadt des Handels und der vielfältigsten Migrationen. Mit mehr als 100 Ethnien, die heute in der Stadt gezählt werden, sind seit jeher die „klassischen“ Migranten gemeint, also Zuzügler aus den Provinzen und angrenzenden Ländern, Händler, Pilger, Soldaten, aber auch (schon seit historischen Zeiten) Flüchtlinge. Seit dem Irakkrieg hat sich eine afghanische Bevölkerungsgruppe gebildet, seit der russischen Invasion auf der Krim eine
ukrainische; anders als die gegenwärtigen Flüchtlingsströme fanden diese Bewegungen großteils ihren Ziel- und Endpunkt in der türkischen Millionenstadt und gingen in der Masse der in prekären Verhältnissen und in Illegalität Lebenden auf. Die „housing projects“ angesichts eines jahrhundertealten Zuzugs basieren auf drei klandestinen Stufen
zur Legalisierung: das uralte Recht, eine über Nacht gebaute Behausung als legal zu deklarieren, dann folgend ein rasches
und unkontrolliertes Hochziehen von schlecht gebauten Wohnblocks und an dritter
Stelle eine durch Regierungsnähe und Begünstigung ihr Monopol ausspielende, korrupte Bauwirtschaft. Hier, wie auch in den
vernachlässigten Räumen einer physischen Kommunikation, liegt eines der Probleme an der
Schnittstelle nicht nur der Zeiten, sondern auch der Kontinente: die
Verweigerung des Erinnerns. Die historische Stratigraphie einer Stadt wird
getilgt, gedankliche und kulturelle Vielfalt werden eingeebnet. Dem entspricht
das „Baumaterial“ von Hubert Blanz, das er dem mosaizierten Bild seiner Istanbul-Ansicht zugrunde
legt: vorgefertigte Computerbestandteile und Platinen als Symbole für stereotype Kommunikation und ubiquitäre Präsenz. Auch in seinen anderen Werkserien bezieht sich Hubert Blanz auf
gesellschaftliche Überlagerungsprozesse und globale Kommunikationsstrategien. In
Public Tracks und Vergina Sun werden Textinformationen, persönliche Codifizierungen und historisch konnotierte Ortsbezeichnungen zu einem
optischen Informationsnetz, an dem Vielgestaltigkeit und Disparität, Kontingenz und Diversität von Kommunikation ablesbar sind. Das soziale Gefüge einer heutigen Gesellschaft formt sich aus diesem Überlagern und Zulassen, aus dem Erkennen ihrer eigenen Stratigraphie:
„Die Frage nach der sozialen Kontingenz ist die nach der fluktuierenden Fähigkeit einer Gesellschaft, zu einem bestimmten Zeitpunkt das zu integrieren,
was sie bislang ausgeschlossen hatte“ 2).
1) Michél Péraldi, Weltbasar am Bosporus, in „Lettre 088/2010, S. 77 ff.
2) Jean Clam, Kontingenz, Paradox, Nur-Vollzug, Konstanz, 2004, S. 19
Margit Zuckriegl, Katalogtext zu WHERE ARE WE NOW?, kuratiert von Roland Schöny, Ausstellungsraum Franz Josefs Kai 3, Wien, 2016
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