hubert blanz

X-Plantation
C-Print, Diasec auf Dibond, Hubert Blanz, 2008


Die Distanz ist nur mehr eine Zahl

Ruth Horak

Flugzeug, Fläche (plane), Bepflanzung, Gewebszüchtung (plantation), ein für seinen Realismus bekannter Flugsimulator (X-Plane): Ein genaues Lesen des Titels trägt bei Hubert Blanz immer schon viel zur Identifizierung seiner Werke bei. Vertieft man sich in die detaillierten Informationen zu X-Plantation, erschließen sich auch noch seine Interessen und Arbeitsmethoden: „Züchtung lebenden Gewebes außerhalb des Körpers auf einem künstlichen Nährboden in einer Gewebekultur, um Wachstum und Vermehrung zu studieren und mit den Vorgängen am lebenden Organismus zu vergleichen.“ Die inhaltliche Verzahnung der anfangs angeführten Begriffe findet ihre Entsprechung in der formalen Verzahnung, in der Überlagerung und Staffelung der Luftbilder von Flugpisten. Das gesamte Bildmaterial stammt aus dem Netz, aus unserer zweiten Welt, die wir mittlerweile mithilfe unglaublich perfekter Satellitenaufnahmen nahtlos durchklicken können. Die Kameras im All haben alles im Blick und zeichnen alles auf. Für die UserInnen schrumpfen die geografischen Distanzen je nach Bildschirmgröße auf wenige Zentimeter und Zahlen. Die so vor uns ausgebreitete virtuelle Welt aus Fotos und Geodaten erlaubt die sekundenschnelle Navigation quer über den Globus, aber auch quer durch die Zeit. Denn letztlich haben wir ein Puzzle aus Aufnahmen vor uns, die unterschiedlich alt sind, teilweise sogar Jahre zurückliegen.

Für die Screenshots arbeitet Hubert Blanz wie mit einer Kamera: Ausschnitt, Distanz und Blickwinkel werden von ihm bestimmt, dann löst er aus. Nach dem Freistellen sind die anvisierten Flughäfen endgültig keine geografisch bestimmbaren Destinationen mehr, sondern grafische Gefüge von Strecken in den verschiedensten Farbwerten mit linearen Mustern und Beschriftungen – außer in seinen Computerfiles, dort sind die Bilder noch für die Montage unter „Amsterdam“ oder „Denver“ gespeichert.

Letztlich haben wir die Rollbahnen wie in Etagen angelegt vor uns, als ob es darum ginge, den Flugverkehr noch effizienter abfertigen zu können. Eine überzeichnete futuristische Ahnung, die so absurd nicht ist?




In der digitalen Welt liegt uns die Welt zu Füßen

Ruth Horak

„Der neue Blick ist der Blick von oben“ 1) – das gilt nicht nur für das mediatisierte Weltbild (seit den Nachtaufnahmen des Golfkriegs, den Monitorbildern von Überwachungskameras und den Satellitenbildern im Netz wird uns der Blick von oben zunehmend geläufig), sondern auch fast durchgängig für die fotografischen und filmischen Arbeiten von Hubert Blanz.

Der moderne Blick von oben stand noch deutlich in Verbindung mit dem Körper - für den Blick vom Hochhaus musste der Körper in eine extreme Situation gebracht werden, aus der  dann Fotografen wie Rodtschenko ebenso extreme Blickwinkel ableiteten. Im Gegensatz dazu ist unser jetziger Blick von oben durch die Mediatisierung der Welt gelenkt: ein von Aufzeichnungssystemen getragener und vom Körper losgelöster Blick, der ein von den Navigationstools und Zoomfunktionen unserer Computer bestimmtes Sehen auslöst.

Aus dieser unserer zweiten Welt, durch die wir mit Hilfe von Satellitenaufnahmen und Geodaten-Software nahezu nahtlos navigieren können, stammt Hubert Blanz’ Bildmaterial, das er Layer für Layer zu utopisch anmutenden Bildgeweben komprimiert, zu Akkumulationen von Flugpisten oder Autobahnen, wie sie in dieser Dichte bestenfalls in Sciencefictionfilmen angedeutet wurden. Die nahezu unbegrenzten visuellen Zugriffsmöglichkeiten auf diese Welt bedeuten auch eine enorme Expansion im Raum, wie das vielleicht schon mit der Erfindung der Fotografie empfunden wurde, als man im 19. Jh. plötzlich von den entferntesten Plätzen der Welt realistische und detailgenaueste Bilder sehen konnte.

Auch die Faszination für die imposanten Bauwerke aus Menschenhand – damals die Pyramiden, heute die gigantischen Anlagen von Flugplätzen und Autobahnknotenpunkten – ist geblieben. Faszinierend auch, dass sie nicht nur in mediatisierten Form existieren, sondern jedes für sich ist real, was nicht nur an den Autos abzulesen ist, die sich auf den Verkehrswegen tummeln, sondern auch ganz besonders an den Gebrauchsspuren und Witterungseinflüssen, allgemein gesagt an den „Zeichnungen der Zeit“, die etwa die Flugpisten zu grafischen, aber eben von der Realität gezeichnet Oberflächen machen.


1) Florian Rötzer: Der Fotograf als Architekt in Hubert Blanz Slideshow, S. 58-67, SpringerWienNewYork, 2009.
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