hubert blanz
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Urban Codes – Light Diagrams
c-print on dibond, anti-reflective glass framed, Hubert Blanz, 2013-2018
Projektbeschreibung
Die Chicagoer Schule bildet Hauptgrundlage und Ausgangspunkt meines in Downtown Chicago begonnenen
Projekts, daher möchte ich mit einem kurzen geschichtlichen Überblick beginnen.
Die Chicago School, ein Architekturstil, entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts und ermöglichte die ersten Hochhäuser in Stahlrahmenkonstruktion. Diese Weiterentwicklung der
Metallskelettkonstruktion hatte den Vorteil, dass keine dicken Mauern mehr
notwendig waren. Große Bauhöhen und Fensterflächen wurden dadurch möglich und veränderten das äußere Erscheinungsbild eines Hauses beträchtlich. Die Fassade war nicht mehr die, die sie einmal war. Sie hatte
schlichtweg ihre „tragende Rolle“ verloren.
Diese Veränderung führte auch zur Entwicklung des dreiteiligen Chicago Window. Es wurde vom Architekten Louis Sullivan in Chicago entwickelt und bei den
weltweit ersten Skelett-Hochhäusern gegen Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt.
Kennzeichnend für das Chicago Window ist, dass es im Fassaden-Raster einer Skelett-Tragstruktur ein ganzes Feld
einnimmt. Ursprünglich bestand dieses Fenster aus drei Teilen, einem meist sehr breiten und
ausgewogen proportionierten feststehenden Mittelfeld und zwei schmalen
seitlichen Schiebefenstern, die sich vor das Mittelfeld schieben.
Die fotografische Recherche zu Urban Codes - Lichtdiagramme begann zunächst von Besucherdecks der höchsten Gebäude Chicagos und anderen US-Städten. Die Belichtung der Digitalkamera wurde dabei so gewählt, dass ausschließlich die Lichtstruktur abgebildet wird und die Fassade im Dunkeln verschwindet.
Die aus der Vogelperspektive entstandenen Fotos verdeutlichten jedoch sehr
schnell, dass das abgebildete urbane Lichtgefüge im Großraum Chicago, sowohl in der Amateur- als auch Profifotografie, keine deutlichen
Unterschiede aufweisen.
Aus diesem Grund habe ich versucht, die Perspektive von oben nach unten zu
verlagern, und bin direkt in die dichte Lichtstruktur von Downtown Chicago
eingetaucht. Die Änderung der Perspektive war mit einem Sprung im Maßstab verbunden, da es nun auch möglich war, die Situation zusätzlich aus unmittelbarer Nähe zu beobachten. Die kleinste Veränderung des Fotografier-Standpunktes veränderte die Szene hinter dem Fenster erheblich.
Das nächtliche Abtasten des überwiegend aus Bürogebäuden bestehenden Loops geschah zu Fuß von Straße zu Straße und dauerte mehrere Monate.
Obwohl gewisse Beleuchtungskonzepte eines jeden Gebäudes erkennbar waren, stellte ich trotzdem von Nacht zu Nacht Unterschiede fest.
Diese Differenzen ergaben sich womöglich durch die täglich beziehungsweise nächtlich abweichenden Arbeits- und Lebenssituationen, teilweise auch nur durch
einzelne Personen beeinflusst.
In beiden Fällen könnte man von einer Art Lichtcode sprechen, der das Gebäude und die Vorgänge darin entschlüsselt. Gerade die Büroräume, welche überwiegend neutral und wenig persönlich gestaltet sind, verstärken auf visueller Ebene diese Analogie.
In meiner Auseinandersetzung mit dieser Thematik fielen mir immer wieder die
Mechanismen von Spieldosen und Lochkarten ein. Wenn man sich Bilder dazu
ansieht, ist eine gewisse Ähnlichkeit deutlich erkennbar. Gleichzeitig zeigt sich neben der visuellen
Analogie auch auf inhaltlicher Ebene eine Verbindung.
Die Lochkarte wurde als mechanisches Speichermedium für Datensätze bereits im 18. Jahrhunderts im Bereich der Automatisierung und der
Datenverarbeitung verwendet. Sie wurde eingesetzt, um wiederkehrende Abläufe rationell zu wiederholen. Daher fand sie auch Verwendung bei der Kontrolle
und Steuerung flexibler Arbeitszeiten. Beim Eintreffen und Verlassen der
Angestellten in der Firma wurden die Arbeitszeiten auf diese Weise
dokumentiert.
Auch in diesem Zusammenhang war mein Interesse zunehmend auf die Gegenwart
beziehungsweise das Arbeiten von Menschen in der Nacht fokussiert. Im
betreffenden Stadtteil erhält man überwiegend Einblick in die Büroräumlichkeiten, wobei in den Gebäuden auch verstärkt andere Lebensbereiche, etwa Fitnessstudios, integriert sind.
Teilweise werden einzelne Fenster näher herangezoomt. Dabei ist nicht das Erkennen von Details oder Ablichten von
Personen entscheidend, sondern vielmehr das abstrakte Abbilden der Fenster
durch Licht bei möglicher Anwesenheit („arbeiten“) und/oder Abbilden schwarzer Flächen bei Abwesenheit („nicht arbeiten“). Aus diesem Grund sind in den Lichtdiagrammen auch schwarze oder dunkle
Bildbereiche mit Inhalt gefüllt: Auch wenn wir sie, im Dunkeln verborgen, nicht erkennen können, sind diese Regionen ganz entscheidend für die Struktur und den Bildaufbau verantwortlich.
Um mich der angestrebten Untersuchung mehr und mehr anzunähern, versuchte ich, wie bereits in einigen früheren Arbeiten, den gesamten Bereich in Downtown Chicago zu durchleuchten. Das
unter diesen Kriterien entstandene Bildmaterial umfasst an die 1.600 Fotos und
diente als Vorlage für die Erstellung der großformatigen Fotomontagen.
Auf den sieben digitalen Collagen von Urban Codes - Lichtdiagramme kann man, aus der Nähe betrachtet, die Fenster detailgenau erkennen. Teilweise sind auch Menschen
bei ihren Bürotätigkeiten zu sehen. Aus der Distanz wird das einzelne Fenster jedoch wieder zum
Code einer urbanen Lichtstruktur. Diese beiden Ebenen werden, auch aufgrund der
gewählten Bildgrößen und Maßstäbe, miteinander verknüpft.
Mit den Fotos von Urban Codes habe ich im Rahmen meines Auslandsstipendiums in Chicago 2010/2011 begonnen.
Die bereits 2013 entstandene Collage Lichtdiagramm 01 ist eine Hommage an Ludwig Mies van der Rohe, der wesentlich zum Stadtbild
Chicagos beigetragen hat.
Die Komposition besteht zum großen Teil aus seinen bekanntermaßen sehr reduzierten Bauwerken. Verwendung fanden aber auch Gebäude, die in seinem Stil entstanden, wie etwa das Richard J Daley Center.
Generell habe ich bei dieser Arbeit versucht, sehr reduziert und in Anlehnung an
Mies van der Rohe (Less is More/Weniger ist mehr) die Montage aus nur zwei Elementen zu bauen: Dem Strich und dem Punkt, zwei
grundlegende Elemente der Codierung.
Die anderen sechs Lichtdiagramme sind im Jahr 2018 entstanden. Alle Collagen haben unterschiedliche
Bildproportionen, verantwortlich dafür war immer ein charakteristisches Fenster innerhalb der jeweiligen Komposition.
Das Verhältnis von Fensterbreite und Höhe wurde übernommen.
Die Ausarbeitung der kaschierten digitalen Fotobelichtungen mit schwarzer
Rahmung und insbesondere dem entspiegelten Glas soll dabei wieder den
Ausgangspunkt – das Chicago Window – thematisieren.
Urban Codes
Petra Noll zur Ausstellung DAS GLÜCK LIEGT AUF DER STRASSE – Der urbane Raum, Galerie im Stadtmuseum Neuötting, DE, 2015
DAS GLÜCK LIEGT AUF DER STRASSE – Der urbane Raum
Petra Noll
In den hier ausgestellten Fotografien beschäftigt sich Hubert Blanz mit dem Lebensraum ‚Großstadt’ sowie mit den urbanen Systemen und Architekturen, mit denen das Leben für Massen von Menschen organisiert wird. Die Bilder sind gleichermaßen von seiner Faszination an der funktionalen und gestalterischen Potenz von Städten wie auch von dem Verweis auf Missstände urbaner Strukturen geprägt. In der Serie Roadshow hat er Screenshots von Satellitenbildern realer Straßennetzwerke, Verkehrsknotenpunkte und Brücken in verschiedenen Städten gemacht und 100e Bilder – bewusst verdreht und verschoben – Schicht für Schicht zu irritierenden, tiefenräumlichen Labyrinthen „gebaut“. Die Straßen dominieren den Raum, aber sie sind uneffektiv, denn sie sind nicht
miteinander verbunden, sie laufen ins Nichts. Es wird ein visionäres Bild einer möglichen Entwicklung von Stadt gegeben, in der die Orientierung schwer werden könnte.
The Fifth Face 02, Teil einer Serie, basiert auf Fotos aus verschiedenen Perspektiven, die 2012
in Chicago von Aussichtplattformen gemacht wurden. Sie verweisen nicht nur auf
die aktuelle Überwachungsproblematik, sondern auch auf den Raummangel in Megacities: Die „Fünfte Fassade“, das Flachdach, gewinnt als zusätzlich nutzbarer Raum zunehmend an Bedeutung. Das auf dem Foto auszumachende Häuser-Chaos und die Menschenleere lassen an ein urbanes Endzeitszenario denken. – Zu Fuß und über mehrere Monate ist im nächtlichen Chicago die Serie Urban Codes entstanden, in der Blanz sich mit Licht beschäftigt, einem der signifikantesten Elemente von Stadt. In jeweils einem Foto hat
er zahlreiche beleuchtete Büro-Wolkenkratzer miteinander kombiniert. Entstanden ist ein überwältigendes rasterartiges Lichtgefüge, in dem dennoch jedes Gebäude eine individuelle Ausstrahlung hat, die durch eine Art Lichtcode entschlüsselt zu werden scheint.
Urban Codes
Ruth Horak zur Einzelausstellung Urban Codes im Foto-Raum, Wien, 2013
Hubert Blanz
Ruth Horak
Hubert Blanz ist der Science Fiction Autor der österreichischen Fotografie. Die ersten Digital Surroundings waren schon 2001 im früher als „Volpinum“ geführten Foto-Raum zu sehen. Leiterplatten simulierten damals die Satellitenblicke
auf mögliche Großstädte, elektronische Bauteile ersetzten die realen Baukörper und Hubschrauber knatterten durch die Luft. Seither baut Hubert Blanz an
einem hyperrealen Universum: Trabantenstädte aus Polystyrol (Frigolite Elemente), deren karges Umland den Eindruck verstärkte, dass längst jedes Leben aus ihnen getilgt sein müsse, oder auf unüberschaubar vielen Ebenen geschichtete Flughafenpisten oder auf ebenso vielen
Etagen geführte Autobahnkreuzungen, die auf eine senkrechte Stadtanlage schließen lassen, wie die von Zion, der Stadt der Widerstandskämpfer in „The Matrix“ 1).
Aus dem Netz und aus der Digitalkamera – die Vorgehensweise, Fotos zu akkumulieren, scheint die logische Konsequenz aus
einem unbeschränkt zur Verfügung stehenden Bildarchiv zu sein. Angesichts der ähnlich überwältigenden Menge an Büchern, hat Jorge Luis Borges 1941 die totale Bibliothek skizziert, die alle
jemals veröffentlichten Bücher in allen Sprachen versammeln würde. Am Ende dieses phantastischen Entwurfs hat er sich auf eine Gegenmeinung
besonnen, die zu bedenken gab, dass anstelle einer unendlichen Folge von Räumen auch „ein Buch aus einer unendlichen Zahl an unendlich dünnen Blättern“ 2) alles erfassen könnte, das jemals geschrieben wurde 3). Auf die Fotografie übertragen liegen auch bei Hubert Blanz oft hunderte freigestellte Einzelbilder
Schicht für Schicht übereinander und kulminieren so zu virtuellen Territorien mit einen höchstmöglichen Grad an Intensität. Sie sind so dicht gepackt, dass die Explosion nicht weit scheint, und formal
auch etwa bei
Virgina Sun eintritt.
Eine gewisse Unrast ist allgegenwärtig, wenn Hubert Blanz über Wochen sämtliche Autobahnbrücken Wiens fotografiert oder über drei Monate hinweg die Straßen Manhattans vom Finanzdistrikt bis zur 115. Straße Haus für Haus abschreitet 4), um die steilen Blicke hinauf, entlang der
Wolkenkratzerfassaden, zu sammeln. Oder zuletzt Chicago: Die Gitterstruktur der
Stahlskelettbauten, die Fensterteilungen – der unermüdliche Blick sammelt die strukturellen Module der Stadt, die Raster, die über ihr liegen, die
Urban Codes, die bei Nacht von den beleuchteten Büroräumen ausgeschickt werden. Für The Fifth Face (2012) greift Hubert Blanz den Blick von oben auf, wie er uns über Satellitenaufnahmen mittlerweile geläufig ist: eine digitale Collage aus Dachansichten vom Willis-Tower 5) und dem
John-Hancock-Center fotografiert, entsteht. Währenddessen ist der nächste ungewöhnliche Blick auf eine wieder andere Metropole, diesmal London, bereits in
Planung, nämlich „die Großstadt von hinten“ mit den fensterlosen Stirnwänden sämtlicher London Boroughs.
Fiction überzeichnet immer: die denkbaren Entwicklungen der Zukunft, die fortschreitende
Metropolisierung, die Überwachungsinstanzen, die gesamtheitliche Aufzeichnung unserer
Lebensgewohnheiten etc. sind immer vage, aber doch an der Gegenwart orientiert
und vom Jetzt abgeleitet, angeregt von der Verfolgung unserer Interessen im
Netz, von einem Leben vor dem Rechner, auf Flugplätzen, in Gängen, in Liften zwischen den Stockwerken, in Bürogebäuden bei Nacht, gesehen aus der Sicht von Satelliten oder Landkarten, die Städte auf ihre Aufsichten und Straßennamen reduzieren. Alles Material, das Hubert Blanz verarbeitet, reflektiert
jene Systeme, die dem Mensch als Refugium geboten werden, die sein Leben
organisieren. Aber alles ist menschenleer, obwohl für eine Masse an Menschen ausgerichtet. Und im Roman würde an dieser Stelle die Absicht der Systemüberwacher offen gelegt werden: „Abigail, du weißt genau, dass alle Probleme der Menschheit darauf hinweisen, dass es zu viele Körper gibt, die alle möglichen Bedürfnisse entwickeln. Jede Rationalisierung auf diesem Gebiet ist also zu begrüßen.“ 6)
1) The Matrix, 1999, Regie: Wachowski-Geschwister.
2) Jorge Luis Borges, Die Bibliothek von Babel. In: Fiktionen Erzählungen 1939–1944, Fischer Taschenbuch Verlag 1992, S. 76.
3) 2002 haben sich Sergey Brin und Larry Page gefragt, wie lange es wohl dauernd
würde, alle Bücher dieser Welt zu scannen –
2012 konnte googlebooks angeblich die 20 Millionen Marke überschreiten.
4) Siehe dazu Helmut Weihsmann, Verloren im Zwischenraum. In: Hubert Blanz Slideshow, SpringerWienNewYork, 2009, S. 84.
5) vormals Sears-Tower.
6) David G. Compton, Das elektrische Krokodil, Heyne Verlag, München1982 (engl. Originalausgabe 1970), S. 52.
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